Betriebsleiterinnen – Mehrkampf auf dem Hof

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Frauen leiten nur rund sechs Prozent der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe. Die Gründe dafür sind in erster Linie Tradition, Vorurteile und die Mehrfachbelastung. Betriebsleiterin Yvon Ritter erzählt von ihrem Weg und dass es ein Umdenken in vielerlei Hinsicht brauche.

Direkt an der Autobahn in Diegten BL steht ein Betrieb mit grossem Laufstall, umgeben von Feldern. Hier betreibt Yvon Ritter Ackerbau und Milchproduktion und bewirtschaftet 75 Kirschbäume. Dabei wollte sie ursprünglich nicht Landwirtin werden. Zwar arbeitete sie in ihrer Freizeit oft auf dem Betrieb, besuchte aber das Gymnasium und studierte Sport. Daneben praktizierte sie Leichtathletik. Den Hof übernehmen sollte eigentlich ihr Bruder. Der entdeckte jedoch im Militär sein Interesse an der Führung von Menschen und Unternehmen. Die Geschwister beschlossen eine Rochade: Er studierte Wirtschaft, sie absolvierte die landwirtschaftliche Lehre sowie die Betriebsleiterschule und wurde 2011 Meister-Landwirtin. Seither arbeitet sie Vollzeit auf dem Betrieb – 2023 wird sie ihn übernehmen.

Fallen: Vorurteile und Abhängigkeit

Der Vater tat sich zunächst schwer mit der Veränderung. «Er war nicht sicher, ob ich meine Frau stehen kann», erklärt Yvon Ritter und meint: die körperliche Arbeit und die Realität der Männerdomäne. Betriebsleiterinnen sind kaum sichtbar, sind fast immer allein unter männlichen Kollegen und müssen sich gegen viele Vorurteile zur Wehr setzen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Mehrfachbelastung durch Betrieb, Haushalt, Familie. Ausserdem sorgte sich der Vater, dass die Tochter in Abhängigkeit von Berufskollegen geraten könnte. «Es ist heikel, matchentscheidende Arbeiten auszulagern, weil sie zu umständlich oder zu schwer sind», bestätigt Yvon Ritter. Mit den Jahren treffe sonst möglicherweise ein Arbeitskollege wichtige Entscheidungen.

 

Eine Frau wird anders wahrgenommen

Hier gelte es, den Betrieb so zu organisieren, dass man das Meiste selber machen könne, ist Yvon Ritter überzeugt. Sie hat in den letzten Jahren den Betrieb auf ihre Bedingungen angepasst. «Es ist sehr wichtig, effiziente Arbeitsabläufe zu installieren. Ich habe mich so eingerichtet, dass meine Kräfte ausreichen, dass ich keine Leerläufe habe und sinnvoll Hilfsmittel einsetze, etwa Sackkarren», erklärt die Landwirtin. Die körperliche Leistungsfähigkeit sei im Vergleich zu den männlichen Arbeitskollegen geringer – hier müsse man kreativ sein und Lösungen für sich und den eigenen Betrieb finden. Dennoch könne es Sinn ergeben, gewisse Arbeiten auszulagern. Das Problem: «Bei einer Frau heisst es sofort, sie habe es nicht im Griff», sagt Yvon Ritter. Bei Männern gehe man von wirtschaftlichen Gründen aus. Frauen würden anders wahrgenommen – dagegen gelte es sich immer wieder zur Wehr zu setzen. Auch das gegenseitige Aushelfen mit Arbeitskollegen sei für eine Frau schwieriger. «Die Kollegen helfen einem zwar bereitwillig aus – wollen aber oft nicht, dass ihnen eine Frau aushilft», beschreibt es die Betriebsleiterin. Das könne daran liegen, dass sie es einer Frau nicht zumuten möchten oder weil sie sich sich als Berufskollegen nicht dafür haben, eine Frau um Hilfe zu bitten.

Die Arbeitslast nimmt zu

Der Vater hat die Veränderung angenommen. «Er zweifelt nun vielmehr daran, ob man heute in der Landwirtschaft noch wirtschaftlich arbeiten kann. Er sagt, er lade mir viel auf – mir als seinem Kind, nicht mir als seiner Tochter.» Heute bleibe mehr Arbeit an einer Person hängen als früher. An Betriebsleiterinnen bleibt besonders viel hängen. Oft erledigen sie neben der Arbeit auf dem Betrieb den Haushalt und übernehmen bei Kindern deren hauptsächliche Betreuung. «Führt eine Frau einen Landwirtschaftsbetrieb und ist den ganzen Tag im Stall und auf dem Feld, wird trotzdem erwartet, dass sie auch den Haushalt im Griff hat», bestätigt Yvon Ritter. Sind Männer allein auf dem Betrieb, würden eher mal auch beide Augen zugedrückt.

«Die Arbeit auf dem Betrieb ist ein ständiges Aushandeln. Das braucht Mut und neue Ideen.»

Yvon Ritter, Betriebsleiterin

Der passende Partner

«Eine Herausforderung für Betriebsleiterinnen ist, die passende Person zu finden, die das mit dir macht», bestätigt Yvon Ritter. Ihr Partner lebt auf dem Betrieb, führt aber einen eigenen Betrieb und ist auswärts angestellt als  Landmaschinenmechaniker im Stundenlohn. Auf Yvons Betrieb kümmert er sich um die Maschinen und springt ein, wenn Yvon einen Termin hat. Für Yvon ist das Fazit klar: Wenn beide draussen oder auswärts arbeiten, müssen sie sich den Haushalt teilen. «Wir geben uns diesbezüglich Mühe», sagt sie. «Aber es ist ein ständiges Aushandeln. Dem geringsten Widerstand zu folgen würde bedeuten, in die Rolle der Bäuerin zu rutschen.»

Von der Landwirtin zur Bäuerin

Haushalt, Verpflegung, Buchhaltung, Kleintiere, Direktvermarktung: Das ist das Berufsfeld für eine Bäuerin mit Fachausweis oder eine diplomierte Bäuerin. «Ich habe mich aber für den Beruf Landwirtin und damit bewusst für die Arbeit draussen mit Tieren und Maschinen entschieden – und möchte diesen Beruf vielleicht auch mit Kindern ausleben», sagt Yvon. Es bleibe nichts anderes übrig als ansprechen und verhandeln – und zwar in regelmässigen Abständen neu. «Sicher ist es einfacher und häufiger, dass ein Landwirt eine Bäuerin kennenlernt – als Betriebsleiterin ist die Wahrscheinlichkeit viel grösser, dass der Partner Landwirt ist oder auswärts arbeitet.» Man müsse nicht nur den Mut haben, die Lebens- und Arbeitssituation immer wieder anzusprechen, sondern auch, andere Konstrukte zu finden – zum Beispiel jemanden fürs Putzen anzustellen.

Mehr Hofnachfolgepotenzial

Von mehr Betriebsleiterinnen würde die gesamte Landwirtschaft profitieren. Nicht nur hätten mehr Höfe eine Nachfolge, wenn Frauen von Kind an als Nachfolgerinnen in Frage kämen. Dazu bringen sie andere Herangehensweisen und Blickwinkel mit. Schliesslich sind engagierte Leute und neue Ideen gefragt, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Yvon Ritter hat auch den Eindruck, dass Frauen tendenziell mehr Feingefühl für Tiere mitbrächten.

Mehr Gelassenheit

Das Arbeiten in der Männerdomäne und mit den vielen Vorurteilen sei kein Zuckerschlecken, stellt Yvon Ritter klar. Dennoch helfe ihr jedes Lebensjahr, gelassener zu werden. «Bis 30 hatte ich das Gefühl, ich müsse für die gleiche Anerkennung mehr leisten als Berufskollegen», erzählt sie. Seit Mitte Dreissig habe sich das gelegt. «Ich sage mir, das ist mein Betrieb, es muss für mich stimmen, ich muss niemandem etwas beweisen.» Die Erfahrung als Sportlerin hilft ihr dabei. «Ich kann mich durchbeissen und habe gesunden Ehrgeiz. Früher überdachte ich Bewegungsabläufe, heute sind es Arbeitsabläufe.» Und wie bei einem Wettkampf komme es auch in der Landwirtschaft manchmal auf Tag X an: «Wenn ich weiss, dass schönes Wetter kommt, dann organisiere ich mich so, dass ich dann parat bin. Zum Beispiel zum Mähen.»

Immer mehr Landwirtinnen in der Schweiz

Immer mehr Frauen lernen den Grundberuf Landwirtin, und immer mehr davon schliessen danach den  eidgenössischen Fachausweis (BetriebsleiterInnen-Schule 1) oder das eidgenössische Diplom (Meisterlandwirtin, BetriebsleiterInnen-Schule 2) ab: 2020 waren es 215 Landwirtinnen EFZ, 26 mit eidgenössischem Fachausweis und 5 Frauen mit Meisterdiplom. Die Tendenz macht Hoffnung – auch wenn die Zahlen im Vergleich zu den Männern noch immer niedrig sind: 2020 schlossen 915 Landwirte EFZ ab, dazu 202 mit eidg. FA und 106 mit eidg. Diplom (Meister).

Betriebsleiterinnen

Sechs Prozent der Betriebe werden von Frauen geführt. Aber nicht alle von ihnen sind Betriebsleiterinnen im engeren Sinn, die also auf dem Betrieb die strategische und wirtschaftliche Verantwortung tragen und entsprechend eine Identität als Betriebsleiterin entwickeln. Oft übernehmen direktzahlungsberechtigte Frauen nach der Pension des Ehemannes gesetzlich den Betrieb und/oder sind zwar massgeblich an der landwirtschaftlichen Arbeit auf dem Betrieb beteiligt und leiten möglicherweise einen eigenen Betriebszweig, haben aber weder das Gesamtmanagement noch die Gesamtverantwortung inne.

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